Naturlyriker

Heimatverbundener Naturlyriker

Hermann Claudius ist seit seiner Kindheit geprägt von der Mentalität seiner Landsleute, von Lebensart, Brauchtum und Sprache in diesem urstormarnschen Raum. Neben seiner regionalen Verwurzelung kann die Nähe zum geistigen Milieu der Wandervogel-Bewegung als eine Leitlinie seiner Dichtung angesehen werden.

Am Anfang steht für Hermann Claudius das Erleben der Natur bei Wanderungen im Raum um Hamburg im Kreis von Gleichgesinnten. Das Umfeld der naturverbundenen und zivilisationskritischen Jugendbewegung schlägt sich in seinen Gedichten nieder: eigenständiger Ausdruck, Abkehr von hohlem Pathos, von großen Worten und unangemessenen Formen.

Claudius‘ Haltung ging einher mit der Idee der „Wandervogel“-Bewegung. Der Wunsch nach einem Leben in der Natur war kombiniert mit geistig-kultureller Betätigung und einer klassenlosen Solidarität. Darin äußerte sich zugleich Kritik an Erscheinungen des gesellschaftlichen Wandels der Moderne, an Konsum, Industrialisierung, Klassengesellschaft und preußischer Staatsmacht.

Hermann Claudius selbst hat mit einem Gedicht für eine prägende Formel der Jugendbewegung gesorgt. Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs stimmen immer mehr Jugendliche sein Lied an:
Wann wir schreiten Seit‘ an Seit‘ und die alten Lieder singen und die Wälder widerklingen, fühlen wir, es muss gelingen: Mit uns zieht die neue Zeit.
Der Text, vertont von Michael Englert, wird die neue Hymne der Arbeiterjugend und der Wandervogel-Bewegung. In ihr trafen sich junge Leute, die in die Natur gingen – auf der Suche nach einem anderen, selbstbestimmten Leben.

Hermann Claudius blieb in seinem langen Leben und in seinem breiten dichterischen Schaffen immer der Natur verbunden. Zahllose Gedichte beobachten, bewundern, feiern die Wunder der Natur im Großen und im ganz Kleinen, eine Natur, die Claudius immer auch im Kontext seiner Frömmigkeit als Schöpfung Gottes ansah. Gleichsam pantheistisch sieht er sich als Mensch eingebunden in die Schönheit und Unbegreiflichkeit einer Natur, die nicht nur als Um-Welt um das menschliche Zentrum herum zu verstehen ist. Ohne es so auf den Begriff gebracht zu haben, vertritt Claudius die Gaia-Theorie avant la lettre.